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Heinz Strunk
Dienstag, 23. April 2013, 20:00
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Heinz Strunk: "Junge rettet Freund aus Teich"

Es ist an der Zeit, sich an Heinz Strunks schräges, urkomisches und tieftrauriges Meisterwerk > Fleisch ist mein Gemüse zu erinnern, an die Geschichte vom Tanzmucker Heinzer und seiner Schlagercombo Tiffanys. Dorthin kehren wir in Strunks neuem Roman in gewisser Weise zurück. Der Held dieser Geschichte heißt Mathias Halfpape, so wie Heinz Strunk auch, bevor er sich Heinz Strunk nannte. Erzählt wird von einer Kindheit und frühen Jugend im Hamburger Süden. Junge rettet Freund aus Teich ist ein von Schmerz und Liebe erfüllter Rückblick. «Spaß und Depression derart authentisch und gekonnt miteinander zu verbinden, ist eine große Kunst. Heinz Strunk beherrscht sie meisterhaft.» (Friedrich Pohl, Die Welt)

Bekanntermaßen ist Heinz Strunk keiner, der zu wilden Heiterkeitsausbrüchen neigt. Als Grundhaltung pflegt er eher eine «generelle Zerknirschtheit», wie er in einem Interview mit der Zeitschrift Galore vor einigen Jahren ausführte: «Die meisten Humoristen, die ich schätze, sehen Humor als eine Möglichkeit, um mit den Widrigkeiten und dem Schmerz des Daseins umgehen zu können. Daher sind wir von unserer Disposition her eher Trauerklöße. Ob das nun meine Kollegen Rocko Schamoni und Jacques Palminger von Studio Braun sind, Loriot oder die Kollegen von der Frankfurter Schule: alles privat keine Spaßmaschinen.»

Bluna, Mecki, Gummitwist
Wer selber in jenen Jahren groß geworden ist, es sind die Jahre zwischen 1966 und 1974, wird sich beim Lesen dieser romanhaften Kindheitserinnerungen oft verwundert (und beglückt) die Augen reiben. Man taucht ein in eine Welt, die so unendlich fern vom kommunikativen Dauerstress unserer Tage ist, von all dem Geposte und Getweete und Gelike – und doch liegt diese Welt nicht weiter als ein paar Jahrzehnte entfernt. Als die Kinder sich noch für Mecki, den Igel aus der Hörzu, begeisterten und unbeschwert Gummitwist, Völkerball und Fußball auf der Straße spielen konnten, weil nur zwei, drei Autos in der Stunde vorbeikamen. Als viele Männer noch auf den Vornamen Adolf hörten und Reval ohne Filter pafften und ihre Frauen zu Hause Gehacktesstippe, Kartoffel mit weißer Soße und Sauerbraten mit gefüllten Klößen auf den Tisch brachten.

Heinz Strunk nimmt ganz die Perspektive des Jungen ein – des Sechsjährigen, des Zehnjährigen, des Vierzehnjährigen. Stück für Stück wachsen wir in das Leben des Mathias Halfpape hinein. Seine Mutter verdient als Ab-und-an-Klavierlehrerin so wenig, dass sie immer noch im Haus der Großeltern leben müssen. Sie, die FAZ-Leserin und CDU-Wählerin mit kulturellem Anspruch, hat sich immer ein anderes Leben gewünscht. Aber das Leben ist bekanntlich kein Wunschkonzert. Mathias ist betrübt, sie Jahr für Jahr unzufriedener, unglücklicher zu erleben. Im Übrigen geht im Hause Halfpape alles seinen geregelten Gang: Oma stellt pünktlich das Essen auf den Tisch, «Opa trägt jeden Tag Anzug und Schlips und nachts wie Oma Nachthemd». Pünktlich um acht Uhr abends: Tagesschau, Wetterkarte, Gutenachtgebet.

Fände sie doch nur einen freundlichen, aufmerksamen Mann, denkt Mathias. Einer ist ja auch tatsächlich hinter ihr her: Herr Siegbert, der Klavierstimmer. Ein Mann mit einem Makel: er raucht. Und da ist Mutter knallhart: «Raucher sind alle Schweine.» Mit ihren Idealmann-Ansprüchen kann sie nur scheitern. «Für meine Mutter kommen nur Männer in Frage wie Herbert von Karajan oder ein Arzt oder Professor. Meinen Vater hätte sie auch genommen, aber der war schon verheiratet. Viel mehr weiß ich darüber nicht.»

Sommerferien, die nach Freiheit schmecken
Mit seiner eigenen Situation ist der Junge eigentlich ganz zufrieden, hätte ihn seine Mutter nicht in Herrn Mareks französischer Kinderschule angemeldet. Weil er dort aber kein Französisch lernt, sondern wie alle anderen unter den heimtückischen Launen des Lehrers zu leiden hat, geht diese Episode zum Glück bald zu Ende. Zum schulischen Überflieger wird es bei ihm sowieso nie reichen: Er verlässt das Alexander-von-Humboldt-Gymnasium Richtung Realschule: mehr ist nicht drin.

Vier Jahre später, wir schreiben das Jahr 1970: Die großen Ferien in Todtglüsingen bei Oma Emmi, seiner Großtante, sind für den Jungen eine Offenbarung. Herrlichstes Sommerwetter, Schwimmen und Spielen, von morgens bis abends. Zwar ist sein Spielkamerad Manfred, der Jüngere der beiden Holzapfelsöhne, nicht gerade allzu helle; aber immerhin ermöglicht er ihm, Dinge zu tun, von denen er zu Hause nicht einmal zu träumen gewagt hätte: Mofafahren, Luftgewehrschießen, heimlich auf dem Gelände einer Hamburger Familie in der Tonkuhle schwimmen, …

Und: Mathias raucht! Erst pafft er, bis ihm schlecht wird, dann gewöhnt er sich so daran, dass er bald nicht mehr ohne Fluppe kann. Am liebsten schmökert er Navy Cut («die haben die amerikanischen Marinesoldaten im Zweiten Weltkrieg geraucht»), cooler geht's nicht. Dazu werden die entsprechenden Sprüche geliefert: «Sterben musst du sowieso, schneller geht's mit Marlboro.» Selige Kindheit!

TOOOOR! Tooor für Deutschland!
1974 ist das Jahr der Fußball-Weltmeisterschaft. Heim-WM, Finale in München, 2:1 gegen Holland – was für ein Triumph! Für Mathias ist es das alles überstrahlende Ereignis. Bis jener Abend kommt, der ihm den Rausch der ersten sexuellen Erfahrung beschert (die so ganz anders ist als die tausendmal einsam herbeiphantasierten erotischen Begegnungen). Es ist das Alter, in dem auch für ihn gilt: Du musst die Feste feiern, wie sie fallen. Ein verruchter Abend in der Dorfkneipe «Zur scharfen Ecke», Deep Purples mördergute Doppel-LP «Made in Japan», sogar zum local hero für einen Tag reicht es: Als ihn die Lokalpresse in einem Artikel mit der Überschrift «Junge rette Freund aus Teich» lobend erwähnt. Auch wenn das höchstens die halbe Wahrheit über die Geschichte ist, die sich Ende Februar im Außenmühlteich zutrug.

Dunkle Schatten liegen über Mathias' Leben. Seine Mutter ist mit ihm in ein Hochhaus in Hanhoopsfeld gezogen: Zweizimmerwohnung mit Minibalkon in schwindelerregender Höhe, im 12. Stock. Damit hat sie Oma in ihrem Elend alleingelassen, findet der Junge. Opa im Heim, noch so ein Verrat. Das Schlimmste aber ist die Ahnung, dass er seine Mutter verlieren könnte. Über die Jahre wurde sie immer unberechenbarer: Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. «Den einen Tag bin ich ihr Bundesgenosse, und am nächsten Tag behandelt sie mich, als wäre ich ihr Gefangener.»

Wie soll er, der alle Hände voll zu tun hat mit den Irrungen und Wirrungen der Pubertät, seine Mutter aus den Fängen der Depression befreien? Er ist doch nur ein Junge, fast noch ein Kind …

 

 

 

 

Veranstaltungsort* E Werk